Einsatz für Flüchtlinge und Wohl von Kindern
Einsatz für Flüchtlinge und Wohl von Kindern
Schwarzwälder Bote, 13.03.2020 Text und Foto Birgit Heinig
Der 73-Jährige arbeitet im Psychosozialen Zentrum Refugio mit schwer traumatisierten Menschen, die aus verschiedenen Gründen ihre Heimat verlassen haben. Der jüngste seiner derzeit 30 Patienten ist gerade einmal vier Jahre alt.
Manfred Kiewald wünscht sich, dass sich Teile der Bevölkerung und mancher Politiker wieder auf christliche Werte besinnen, Mitgefühl und Barmherzigkeit zeigen, damit die Menschen in den Flüchtlingslagern – vor allem die Kinder – nicht länger leiden müssen. Denn er weiß, dass seelische Schäden, die in den ersten drei Lebensjahren bei einem Kind durch Gewalt und Verwahrlosung entstehen, oft nicht mehr reparabel sind. Umso unerträglicher ist für ihn das aktuellen Ringen der Politik um eine "europäische Lösung". "Das Leid der Menschen bleibt dabei komplett unbeachtet".
Kiewald stammt aus einem kleinen Dorf bei Darmstadt. Nach Abitur und Kriegsdienstverweigerung studierte er in Mainz und Gießen Psychologie, wenngleich er auch gerne Lektor geworden wäre. An seiner ersten Arbeitsstelle im renommierten Kohlhammerverlag in Stuttgart konnte er jedoch die beiden Leidenschaften miteinander verbinden – dort arbeitete er fünf Jahre lang als Lektor für Psychologie und Pädagogik. Zu seinen Aufgaben gehörte die Programmgestaltung im Verlag und die Suche nach geeigneten Autoren im deutschsprachigen Raum.
Dann lockte ihn die Praxis: Zunächst führte ihn sein Weg nach Rheinfelden in den Psychologischen Dienst einer Einrichtung für geistig und körperlich behinderte Menschen. Dort war er beratend, psychodiagnostisch und therapeutisch tätig und arbeitete mit Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen mit vielfältigen Handicaps. Hier lernte er seine berufliche Praxis zu lieben. "Ich habe keine glücklicheren Menschen als Kinder mit einer schweren Behinderung kennengelernt", sagt er. Manfred Kiewald entwickelte in dieser Einrichtung psychologische Behandlungskonzepte und leitete dann sieben Jahre lang eine Schule für Heilpädagogik. Sein Weg führte ihn weiter nach Lörrach zur Jugendhilfeeinrichtung "Tüllinger Höhe". Er bildete sich in Tiefenpsychologie und Transaktionsanalyse aus, orientierte sich philosophisch neu und arbeitete in dieser Einrichtung mehr als 21 Jahre lang, unter anderem mit Kindern und Jugendlichen, die den Balkankrieg erleben mussten.
"Es geht in unserer Arbeit immer um eine Halt gebende und tragfähige Beziehung und um verlässliche Bindungen", weiß er aus seiner Erfahrung, "Kinder brauchen vor allem emotionale Sicherheit". Wem in der frühesten Kindheit zu Hause ein stabiles seelisches Fundament vermittelt wurde, den treffen traumatische Erlebnisse nicht so tief. Das gilt nicht nur für Flüchtlingskinder. "Man glaubt nicht, was Kinder in unserer Gesellschaft heute an seelischer Gewalt erleben", sagt Kiewald, der in den Missbrauchsfällen innerhalb der katholischen Kirche nur "die Spitze eines Eisberges" sieht. Daher ist er Mitinitiator der Refugio-Symposien über seelisch erkrankte Kinder.
In einem Alter, in dem andere in den Ruhestand gehen, begab sich Manfred Kiewald ins Kloster. Vom Benediktinermönch Willigis ließ er sich in die Meditation des Zen einführen, ein spiritueller Weg, den er schon lange kennenlernen wollte. Entsprechend abgeklärt suchte er sich hernach einen "schönen Ort, wo es mir gefällt" und landete – in Villingen-Schwenningen. Und da er sein Leben nicht nur mit seinen sechs erwachsenen Kindern und vier Enkeln sowie Motorradfahren, dem Besuch von Museen und eindrucksvollen Ausstellungen in tollen Städten mit seiner irakischen Lebenspartnerin ausfüllen wollte, wandte er sich an Refugio und bot seine Hilfe an. Ein Glücksfall für die Einrichtung, die viele Anfragen von traumatisierten Geflüchteten hat.
Seit 2016 gehört Manfred Kiewald zum Team, dass den Menschen Psychotherapie, aber auch Asylbegleitung und Hilfe im täglichen Leben anbietet. Traumata erkenne man an seelischen und körperlichen Reaktionen, Ängsten und Suizidalität, weiß der Fachmann. In den therapeutischen Gesprächen erleben die Klienten ihr Leid erneut. Das schmerzt, aber hilft, die Erlebnisse "emotional zu verdauen". Für Manfred Kiewald ist es immer wieder eine Freude zu sehen, wenn die Arbeit schon nach wenigen Sitzungen greifbare Erfolge zeigt und er einem jetzt selbstbewusster gewordenen Menschen begegnet, der beginnt, sich Ziele zu setzen, und der dankbar ist, in Deutschland zu sein. "Und er wird im Übrigen bald ein guter Steuerzahler", sagt Kiewald.