Asylpraxis erschwert Behandlung
Asylpraxis erschwert Behandlung
Mit Blick auf den Weltflüchtlingstag am 20. Juni hofft man bei Refugio VS auf Erleichterungen beim Familiennachzug für Flüchtlinge. Die Arbeit geht auch während der Coronakrise weiter.
Refugio VS ist nicht nur eine Anlaufstelle für die Behandlung traumatisierter Flüchtlinge. „Wir sind auch eine Menschenrechtsorganisation“, unterstrich Geschäftsführerin Dr. Astrid Sterzel mit Blick auf den Weltflüchtlingstag am Sonntag, 20. Juni. „Die Menschen, die wir hier behandeln, bilden fast alle Krisengebiete der Welt ab.“ Dazu gehören Klienten aus Afghanistan, Iran, Irak, Sri Lanka oder Syrien. Die evangelische Hilfsorganisation „Brot für die Welt“ berichte, dass von den knapp acht Milliarden Menschen auf der Welt 88 Prozent in nicht-freien Gesellschaften leben. So sei oft nicht bekannt, dass es im Urlaubsparadies Sri Lanka zu gravierenden Menschenrechtsverletzungen komme, von denen insbesondere die Tamilen betroffen seien. „Uns geht es um die konkreten Flüchtlingsschicksale in der Region“, unterstrich Sterzel bei einem Pressegespräch. Dabei berichteten außerdem die Sozial- und Traumapädagogin Veronika Herz sowie der Psychotherapeut Manfred Kiewald über ihre Erfahrungen.
Rasch umsetzen
Um die Situation von Flüchtlingen in Deutschland zu verbessern, hofft das Team, dass sich die grün-schwarze Regierungskoalition in Baden-Württemberg auf Erleichterungen beim Familiennachzug einigt und schnell in die Praxis umsetzt. Darüber hinaus sei es notwendig, eine politische Neubewertung der Situation in einigen Ländern vorzunehmen – damit dorthin beispielsweise keine Sammelabschiebungen mehr stattfänden. So habe erst in der vergangenen Woche eine Sammelabschiebung nach Sri Lanka von abgelehnten Asylbewerbern stattgefunden. „Der Bürgerkrieg dort ist zwar seit 2009 beendet, aber die Tamilen werden als Minderheit weiterhin unterdrückt. Dort wird Folter angewandt bei missliebigen Personen. Das erfahren wir bei unseren Beratungen“, so Sterzel.
Man werde öfter mit der Frage konfrontiert: Sagen die überhaupt die Wahrheit, berichtete Manfred Kiewald. „Traumatisierte Flüchtlinge kommen nicht auf die Idee, zu lügen. Wir bekommen oft die Rückmeldung, dass wir die ersten sind, die sie verstehen.“ Im Jahr werden bei Refugio rund 160 bis 170 traumatisierte Flüchtlinge behandelt. Die Kapazitäten wären größer, wenn mehr Fachpersonal zu Verfügung stünde. Bei 80 Prozent der Klienten müssen Dolmetscher herangezogen werden, um die Kommunikation zu ermöglichen. 57 Prozent der Klienten befinden sich im Asylverfahren, 43 Prozent besitzen einen Aufenthaltstitel. „Wir haben eine Warteliste. Die Ausnahme bilden Kinder, die warten nie“, sagte die Geschäftsführerin. Ein Großteil der Klienten wird überwiesen von Ärzten, Schulen und Kindertageseinrichtungen melden sich. „Wir sind Teil des Gesundheitswesens.“ Im Rahmen der Aktion Seebrücke – also der Aufnahme von Flüchtlingen aus Lagern beispielsweise in Griechenland – hatten sich auch die Städte Villingen-Schwenningen und Tuttlingen bereit erklärt, Menschen aufzunehmen. „Es ist traurig, dass bis jetzt keine Aufnahme erfolgt ist – und das liegt nicht an den Städten“, sagte Astrid Sterzel.
Erschwert wird die Behandlung von Traumata, wenn die Klienten von Refugio fürchten müssen, abgeschoben zu werden. Deswegen gehören Therapie und Beratung zu Asyl- und Aufenthaltsthemen zur Tätigkeit dazu. „Wir haben Klienten, die sind seit mehreren Jahren im Asylverfahren“, berichtete Veronika Herz. Diejenigen, für die ein Abschiebeverbot gelte, müssten spätestens alle zwei Jahre den Nachweis führen, dass sie aus gesundheitlichen und humanitären Gründen nicht zurück könnten. Und das oft bei Personen, die mittlerweile hier arbeiteten und integriert seien. „Ein afghanischer Klient hat die Ablehnung seines Asylantrages bekommen, weil es angeblich in dem Land 'eine Kultur der Großzügigkeit' gebe. Dabei ist einer aus der Familie Dolmetscher für die deutschen Soldaten dort, so dass ein gewaltsamer Tod droht“, berichtete Kiewald. Gerichte kippten häufig solche Bescheide. Betroffene bräuchten einen langen Atem und Unterstützung.
Cornelia Hellweg 18.06.2021 | Die Neckarquelle - Südwest Presse